Staatsschulden pro Kopf in Deutschland



Flüchtlingssammelaktion



Kurzer Bericht über die Flüchtlingsabholaktion am Freitag, den 4. März. Allgemein gehalten, ohne Fotos, keine Sensationen.

2 Vorbemerkungen:

Erstens:

Ab dem 23. Februar wurde mir klar, daß da was ziemlich heftiges auf uns zurollen wird. Ab dem 24. Februar versuchte ich, Kontakt und Kooperation mit der Stadt herzustellen und bekam die Antwort: "Aus rechtlichen Gründen ist es der Stadt Münster nicht möglich, Flüchtlinge direkt aus einem Krisengebiet aufzunehmen. Ich bitte daher um Verständnis, dass wir Ihr konkretes Anliegen daher nicht unterstützen können." in der gleichen mail erfahre ich, daß "Die Stadt Münster .... auf die Aufnahme von Flüchtlingen gut vorbereitet" ist. So weit, so gut. Ich setze die Stadt Münster auch in Kenntnis, daß ich mit einem Bus zur Grenze fahren werde. Telefonisch werde ich gebeten, "doch etwas später zu kommen", weil "am Wochenende die Flüchtlingsaufnahme knapp besetzt" sei. Diese Worte habe ich später angesichts des Elends an der Grenze immer noch im Kopf.

Zweitens:

Ich bin zwar der Initiator dieser Aktion, aber ohne die wunderbaren Mitstreiter hätte ich diese Aktion nicht stemmen können, und daher haben nicht ich, sondern WIR die Leute abgeholt: Galina, Kathi, Leif, Michael und Moritz ! Alle haben am gleichen Strick gezogen und dadurch das Unternehmen erst erfolgreich gemacht. Ihnen, die so spontan und unentgeltlich ihre Zeit für dieses Unternehmen geopfert haben, sollte vielmehr alles Lob und Anerkennung gelten. Ebenso geht mein Dank sowohl an die Westfalen AG als auch an die Bäckerei Tollkötter, die uns ohne Zögern sofort und unbürokratisch unterstützt haben.

Los geht's:

Und zwar am 4.3. morgens mit einem 40-Sitze-Bus der Firma Hölscher aus Billerbeck. Wir sind den ganzen Tag und Nacht - mit 2 Stunden Pause - durchgefahren und waren am nächsten Tag früh an der poln. ukrain. Grenze. Während der Fahrt standen wir mit anderen Konvois, die sich aus ganz Deutschland ebenfalls auf dem Weg zur Grenze befanden oder schon auf dem Rückweg waren, in Kontakt. Die ständig wechselnde Nachrichtenlage zwang uns, mehrmals umzudisponieren. Beispielsweise erfuhren wir am Freitag, daß es gar keine Flüchtlinge an der Grenze gäbe. ??? Des Rätsels Lösung: Weil der polnische Ministerpräsident sich vor der Grenzkulisse in Szene setzen wollte, wurden kurzerhand alle Flüchtlinge "entfernt". Eine kurze Überlegung, umzudrehen, wurde aber schnell vom Team verworfen. Die Autobahn zum Grenzübergang war an der letzten Ausfahrt gesperrt worden, wir mußten aber sowieso zum Sammelpunkt, wo alles Geschehen zusammenlief. Dieser Sammelpunkt waren zwei riesige Handels- oder Einkaufszentren, die vermutlich vor der Fluchtwelle leerstanden (Sie wurden nämlich von mehreren Maklern inseriert). Man kann - wenn man nach "Centrum Handlu Korczowa Dolina" sucht - die Inserate sehen. Wer's genau wissen will: GPS 49.9717 / 23.0366

Von den anderen Grenzübergängen fuhren pausenlos Shuttlebusse, um die Menschen an einem einzigen Ort zusammenzufassen, und auch alle Evakuierungsmöglichkeiten wurden dort hingeschickt. Wir fanden eine große, verzweifelte Menschenmasse vor, die relativ ziellos herumirrte und nach Transportmöglichkeiten suchte. Die meisten wollten nach Krakau oder Warschau, weil der Krieg ja "in zwei Wochen vorbei" sei. Und dann wollten sie so schnell wie möglich zurück in die Ukraine zu ihren Angehörigen, die zurückbleiben mußten. Ich habe wenig Bilder gemacht, weil ich Probleme hab', das Elend anderer Leute zu fotografieren. Teilweise lagen die Menschen auf dem nackten, kalten Steinboden, teilweise seit 4 Tagen, wie man mir sagte, und froren. Nachts war es -4°C. Zwei Frauen, die wir mitgenommen haben, hatten leichte Erfrierungen an den Zehen vom langen Stehen im Schnee auf der ukrain. Seite. Lang heißt hier: ca. 12 Stunden. Ich alter Sack kenne zur Genüge die Fluchtgeschichten von 1945 und habe in Ruinen gespielt, die jüngeren Teammitglieder hatten mit deutscher Nachkriegszeit aber nichts mehr am Hut und waren dementsprechend geschockt von den Bildern, die sie dort sahen. Wobei man sagen muß, daß die Situation nicht annähernd mit 1945 vergleichbar war, aber Leid ist immer individuell und subjektiv und wird dadurch nicht geringer. Diesen Menschen wurde innerhalb einer Woche der Boden unter den Füßen weggezogen, die Heimat und ihr Hab und Gut genommen, und mitbringen konnten sie ihr Leben, einen Koffer und Angst und Sorge um ihre Verwandten. Die Männer mußten ja alle dortbleiben und folglich haben wir fast nur Frauen und Kinder eingesammelt (2 Männer waren dabei). Die Behörden vor Ort taten mit viel Einsatz ihr Bestes, aber diesen Ansturm konnten sie nicht bewältigen. Die "Organisation" der Flüchtlingsströme übernahmen Freiwillige. Ein junge Ukrainer, der als Freiwilliger half, erzählte mir, daß er seit zwei Tagen und zwei Nächten ununterbrochen gearbeitet hätte und dementsprechend war er fertig, genauso, wie die anderen Freiwilligen. Viele dieser Freiwilligen waren Studenten aus Krakau. Unsere Spenden und Hilfsmittel luden wir aus und informierten das Militär (war auch vor Ort), daß wir Hilfsgüter hätten. Bevor die Soldaten die ausgeladenen Sachen abholen konnten, hatten die Menschen schon alle Pakete aufgerissen und sich bedient. Ich möchte nicht wissen, wieviel davon wieder auf dem Schwarzmarkt auftaucht. Leider konnten und wollten wir das auch nicht verhindern, wir waren ja froh, daß die Sitzplätze frei waren, und irgendjemandem kommen die Sachen ja zugute. Wenn es ein nächstes Mal geben sollte, wird das anders gemacht. Wir sind ja lernfähig ;-)

In der sowieso überfüllten Halle gab es einen riesigen, von Menschenmassen umringten Infopoint, die Freiwilligen dahinter gaben ihr Bestes und arbeiteten bis zur Erschöpfung, aber meistens bestand der Dialog aus Geschrei, weil die Erwartungen und Interessen einfach zu verschieden waren. Ab und zu wurde per Mikrofon durchgegeben, wo wieviel Plätze zu welchem Ort angeboten wurden und irgendwie fanden sich Mitfahrer/innen, und es war ein ständiges Kommen und Gehen, und die "abgeflossenen" wurden sofort durch neue, die aus den Shuttlebussen quollen, ersetzt, und das Spiel ging von vorne los. Viel Weinen, viele Abschiede, viel Verzweiflung ...

Viele Menschen sprachen uns an, viele meinten, Münster sei München (wer kennt in der Ukraine schon Münster ?). Viele Menschen aus anderen Ländern, die in der Ukraine sich zu Studium oder Arbeit aufhielten, wollten auch mit. Zu diesem Zeitpunkt hätte eine Mitnahme als Schlepperei gegolten und wir haben vielen absagen müssen. Letztendlich haben wir doch zwei "Härtefälle" mitgenommen. Gegen Mittag waren wir voll und fuhren zurück (wieder eine Nacht ohne Schlaf). Przemysl sind wir nicht mehr angefahren. Unterwegs kam uns schon wieder eine Kolonne mit Blaulichtern entgegen: jetzt war es Blinken, der zur Grenze mußte. Warum, erschließt sich mir nicht. Er hat sicherlich keinen Flüchtling in seiner Riesenkarre mitgenommen, obwohl da bestimmt genug Platz drin gewesen wäre. Unterwegs avisierte ich telefonisch der Stadt noch unsere Ankunft für Sonntag Vormittag. Ich durfte dann noch die Beschwerde in Empfang nehmen, daß ich viel zu früh wäre, ich solle doch Montag kommen. (Auf die Bitte der Stadt, meine Aktion doch einen Tag zu verschieben, bin ich bereits im Vorfeld eingegangen, bin ja kein Unmensch). Mit Mühe konnte ich verhindern, zu platzen, und mir fiel nur ein: "Der Krieg wartet nicht", was ich der Dame auch sagte. Fand' ich aber im Nachhinein recht passend, diese Antwort. Es klappte aber auch recht gut am Sonntag: Die meisten Leute stiegen in Münster am Bahnhof aus, um nach Augsburg, München oder sonstwohin zu fahren, viele hatten dort Verwandte oder Bekannte, die sie aufnehmen konnten. Ich selber hatte im Vorfeld schon einige Familien requiriert, die bereit waren, Flüchtlinge aufzunehmen, aber man kann den Flüchtlingen diese Option nur anbieten und keine/r entschied sich dafür. Vermutlich aus Angst oder Mißtrauen, ich weiß es nicht. Letztendlich ließen einige doch noch von ihrem Vorhaben, weiterzufahren, ab. Wir hatten ihnen erklärt, daß ein Versicherungsschutz erst bestünde, wenn sie registriert seien. Das war überzeugend. Es ist auch gut, daß die Bahn endlich Flüchtlinge kostenlos transportiert, denn auf dem Rückweg erfuhren wir, daß Krakau und Warschau bereits überlaufen seien, und daß in Berlin auch schon viele gestrandet sind, und ich hab' mir noch ausgerechnet, wieviele Busse man für 500.000 Flüchtlinge braucht und wie lang der Buskonvoi dann wäre. Es gäbe sicherlich noch viel zu erzählen, aber so stell' ich's jetzt erstmal ein, damit mich nicht alle löchern und ich immer dasselbe erzählen muß, sondern mal meinen Schönheitsschlaf, auf den ich zwei Tage verzichten mußte, nachholen kann. Oder kurz und knapp: ich bin kaputt und müde. Letzte Bemerkung: Wenn man das Elend und Leid (welchem die Menschen ja eigentlich keinen Ausdruck verleihen, sie sitzen oder laufen ja nur apathisch herum) mitbekommt oder sich zumindest denken kann, dann erscheint eine Beschwerde, daß sich die Flüchtlinge bitte nur zu bestimmten Zeiten einzufinden haben, in einem anderen Licht.

Jetzt sollte man ja meinen, die Geschichte wäre zu Ende. Mitnichten. Zwei Tage später gehe ich mit meiner "Passagierliste" zu der Flüchtlingsaufnahme, um mich nach dem Verbleib unserer "Schützlinge" zu erkundigen, und ich bekomme (von der Person, die mich von der "Anlieferung" her noch kannte) die Auskunft: Das können/dürfen wir Ihnen nicht sagen, wegen Datenschutz.

Ich werde nichts mehr kommentieren und der Ukraine weiterhin helfen.

Leider werden die armen Menschen die Wohnungen, die ich mittlerweile für die Leute besorgt hatte, nicht bekommen.

"Die Stadt" wird in Zukunft sicherlich auch ohne mein Engagement zurechtkommen.


Nochwas: Schnorren liegt mir eigentlich nicht, aber wer der Ukraine finanziell helfen will:

IBAN: DE20 3006 0601 0002 8511 13 Kontoinhaber: ich



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